MATTHIAS GERUNG: MELANCOLIA 1558

Matthias Gerung

Nördlingen um 1500 (?) - 1568/70 (?)

Die Melancholie im Garten des Lebens

1558 oder kurz danach

Mischtechnik auf Lindenholz; 88 x 68 cm

Erworben 1974 von Cyril Humphris, London.

Inv. Nr. 2619

 

(Beschriftung des Bildes in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe)

"Im Zentrum einer weiten, klein gegliederten Landschaft, die bis in die Ferne von Menschen belebt ist, thront eine geflügelte Frau mit aufgestütztem Kopf. Die Bezeichnung "MELANCOLIA   1558" auf dem Schriftband über ihr bezeichnet sie als Verkörperung der Melancholie.

Die Landschaft stellt den "Garten des Lebens" dar; Vergnügungen, sportliche Wettkämpfe und körperliche Arbeiten der Menschen verbildlichen das "Treiben der Welt". es wird durch typische Tätigkeiten einzelner Stände als schicksalhaft und töricht zugleich geschildert. So sehen wir im Vordergrund Bauern beim Tanzen und Kegeln und bei einem Würfelspiel, das von einer Amtsperson geleitet wird. Diese fordert einen einfachen Mann zum Teilnehmen auf mit den Worten, welche sich auf dem hinzugefügten Schriftband finden und übersetzt lauten: "Aufgepasst, Tölpel, Greta Lendl hat 13 Batzen verspielt". Es folgen in den nächsten Zonen: ein adliges Reitturnier, Gaukler und ein Frauenbad samt Freudenhaus; zu Füßen der "Melancolia" verschiedene Arten von Wettschießen, die bei bürgerlichen Schützenfesten üblich waren, ferner eine Musikgesellschaft, eine Tanzbärvorführung und eine Armenspeisung, weiter hinten Feldarbeiten der Bauern, Jagd und Fischfang, eine Schlittenfahrt und das Schweineschlachten im Winter und Arbeiten im Bergwerk; in der fernsten Zone zwei Heere vor einer Stadt, eine vom Blitz in Brand gesetzte Burg, der Bau eines Fachwerkhauses, Wettlaufen und -reiten zwischen Frauen und Männern, die Prozession zu einer Wallfahrtskirche, eine Beerdigung und eine Hinrichtung; auf dem Meer Schiffe, in Seenot oder ruhig dahinsegelnd; am Himmel links die Sonne, in den Wolken rechts wohl die Verkörperung der Gestirne Sol, Luna und Mars.

In der Mittelachse erscheint im Vordergrund ein Geometer mit Zirkel und Weltscheibe, wie "Melancolia" in größerem Maßstab als die Menschen; er ist die zweite Hauptfigur des Bildes. Auch er ist ein exemplarischer Vertreter des melancholischen Temperaments: die untätige Frau verkörpert Trägheit und Sinneslust; der Mann, Saturn selbst, verbildlicht das Streben nach Erkenntnis; beiden sind Regenbogen und Feuerstrahl am Himmel zugeordnet. So warnen sie vor dem Müßiggang und lenken die Gedanken zugleich auf die Vergänglichkeit allen Strebens und Tuns der Menschen, die den Naturgewalten, den <sic!> Einfluss der Planeten und der Strafe Gottes ausgeliefert sind.

Das vielschichtige Programm setzt einen mit humanistischem und christlich-moralisierendem Gedankengut vertrauten Auftraggeber voraus. Er war wohl ein gebildeter Stadtbürger, für den das Jahr 1558 vielleicht von besonderer Wichtigkeit war. Das Bild ist eines der seltenen Zeugnisse profaner deutscher Tafelmalerei der Renaissance und noch bemerkenswerter dadurch, dass es eine für den Besteller allein entworfene Allegorie darstellt und nicht die Illustrationen eines literarischen Werkes oder zu einer Folge der Temperamente, Planetenkinder oder Jahreszeiten gehört.

Die Tafel ist ein Werk des in Lauingen ansässigen Matthias Gerung, der auch als Miniaturenmaler und Entwerfer für den Holzschnitt tätig war und seit 1530/31 Aufträge für seinen Landesherren Herzog Ottheinrich von Pfalz-Neuburg ausführte. Bei der Schilderung der vielen für uns kulturhistorisch so interessanten Darstellungen aus dem täglichen Leben verwandte Gerung auch graphische Vorlagen von Dürer, Cranach d. Ä., Sebald Beham und dem "Petrarcameister". – Von Gerung besitzt die Kunsthalle aus altem markgräflichen Besitz noch eine weitere Allegorie, die "Gefesselt schlafende Gerechtigkeit".

D. L."

So informiert die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe im Museumsraum über dieses Bild. Diese Information entspricht bis auf des Ende des ersten Abschnitts (hier: "bezeichnet sie als" - dort: "weist sie aus als") der Bilderklärung von Herrn Dr. Dietmar Lüdke (= D. L.) auf S. 58 des folgenden Bands: Ausgewählte Werke der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Band 1, 150 Gemälde vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Karlsruhe 1988.

Homepage der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: http://www.kunsthalle-karlsruhe.de/anzeige.php

Auf der Überblickseite habe ich versucht, die oben angesprochenen Bereiche kenntlich zu machen, und habe sie so verlinkt, dass man die Teile im Detail anschauen kann. Von einem Detailbild kommt man wieder zurück zur Überblickseite.

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