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Eine Insel, zwei Kantone UN-Friedensplan für Zypern weckt Hoffnung und Skepsis
Seit
mehr als 28 Jahren ist Zypern geteilt.
Jetzt stehen die Türken im Norden und
die Griechen im Süden der Insel unter
Zeitdruck. Nur ein Frieden bringt sie gemeinsam in die Europäische Union.
Von
Gerd Höhler, Nikosia,
Boutiquen, Eiscafés und ein
kleines Kaufhaus säumen die Odos Ledra, die bescheidene Flaniermeile im Süden
der zyprischen Inselhauptstadt Nikosia. Aber
kurz hinter einem Sportgeschäft ist Schluss mit dem Shopping.
Hier endet die Fußgängerstraße an einer Mauer.
Eine blau gestrichene Metalltreppe führt auf eine hölzerne
Aussichtsplattform. Was man von dort sieht, wirkt
wie eine andere Welt. Rostige
Stacheldrahtverhaue versperren die Straße.
Unkraut sprießt aus dem rissigen Asphalt. Eine Katze schleicht durch das Gestrüpp, das einzige
Lebenszeichen. Links eine
Apotheke, längst zu. Rechts ein
Textilgeschäft, das Rollgitter herabgelassen.
Geschlossen seit mehr als 28 Jahren, als die Türkei Nordzypern
besetzte, um die geplante Annexion der Mittelmeerinsel durch die damalige
Athener Obristenjunta zu vereiteln und die befürchtete Vertreibung der
türkischen Volksgruppe zu verhindern. Diesseits
des Niemandslandes wehen die Flaggen Griechenlands und der Republik Zypern,
drüben, hinter der Mauer, flattern die türkische Fahne und das Banner der
Türkischen Republik Nordzyperns, die nur von der Türkei völkerrechtlich
anerkannt wird. 180 Kilometer lang zieht sich
die Demarkationslinie quer durch Zypern. Mancherorts
ist die Pufferzone, die Inselgriechen und Zyperntürken trennt, nur wenige
Meter breit, so in der geteilten Hauptstadt Nikosia, andernorts misst der
Streifen mehrere Kilometer. Kontrolliert wird er von Blauhelmsoldaten der Vereinten
Nationen. Wachtürme,
Panzersperren, Schießbefehl: eine Grenze wie diese gibt es nirgendwo mehr in
Europa. Geht es nach
UN-Generalsekretär Kofi Annan, könnte sie sich schön bald öffnen.
Seit drei Wochen liegt sein Plan zur Lösung der Zypernfrage auf dem
Tisch. Er sieht für die Insel
eine neue Verfassungsordnung vor. Zypern
soll künftig aus zwei so genannten "Komponentenstaaten" und einem
"gemeinsamen Staat" bestehen, also zwei Kantonen wie in der Schweiz
mit weit gehender Selbstverwaltung für beide Volksgruppen und einer
Zentralregierung, deren Kompetenzen sich im Wesentlichen auf die Vertretung
nach außen beschränken. Auf 137
Seiten regelt der Annan-Plan auch scheinbar nebensächliche Einzelheiten.
Welches die Feiertage sind, welche Flaggen gehisst werden und welche
Sprachen an den Schulen Pflicht sind. Einen so detaillierten
Vorschlag zur Lösung des Zypernproblems hat es seit der Teilung vor 28 Jahren
nicht gegeben. Und Annan drängt.
Bis Mitte nächster Woche sollen die Führer der beiden Volksgruppen,
der Zyperngrieche Glafkos Klerides und der Zyperntürke Rauf Denktasch, eine
Vereinbarung auf Grundlage seines Plans unterzeichnen.
Dann könnten die EU-Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen in
Kopenhagen die Aufnahme ganz Zyperns beschließen. Aber so weit ist es noch
nicht. In einer Nebenstraße der
Odos Ledra sitzt Savvas auf einem Hocker vor seinem Souvenirladen in der Sonne.
Das Sortiment umfasst den üblichen Kitsch: Seesterne aus Gummi,
Korallen aus Plastik und kleine Gipsstatuen der Liebesgöttin Aphrodite, die
auf Zypern dem Meer entstiegen sein soll. Jetzt wartet die Insel auf ein neues
Wunder. "Das ist
wahrscheinlich die letzte Chance", kommentiert Savvas Annans Plan.
Der 58-Jährige stammt aus Varoscha, wo er gerade sein erstes Geschäft
eröffnet hatte, als im Sommer 74 die türkischen Invasionstruppen kamen.
"Wir mussten Hals über Kopf fliehen, nur einen Koffer habe ich
mitgebracht", erinnert er sich. Varoscha war damals das
Tourismuszentrum. Seit 28 Jahren
ist es eine Geisterstadt im Niemandsland.
Aber vielleicht rösten sich hier schon bald wieder Touristen.
Denn der Annan-Plan sieht vor, dass Teile der türkischen Besatzungszone
dem griechisch kontrollierten Süden zugeschlagen werden - darunter Varoscha.
Damit würde sich die Zone der Inseltürken von heute 37 auf künftig
knapp 29 Prozent reduzieren. Knapp
die Hälfte der 180 000 griechischen Zyprer, die 1974 aus dem Inselnorden
vertrieben wurden, könnten in ihre Heimatorte zurückkehren.
Auch Savvas. Was von seinem
alten Laden noch übrig ist, weiß er nicht.
Aber neugierig ist er. "Mal
sehen", sagt er schmunzelnd, "wenn sich die Grenze öffnet, fahre ich
mal da rauf, und vielleicht bleibe ich." , Der Friseur Jannakis dagegen
will nicht umziehen. Warum auch.
Er stammt aus Nikosia, und in Nikosia will er bleiben.
"Lass die Türken meinetwegen Morphou und Varoscha
zurückgeben", sagt er, "aber der Annan-Plan ist ein Monstrum".
Dass seine beiden Kinder, wie es Annans Vorschlag vorsieht, künftig als
Pflichtfremdsprache Türkisch lernen sollen, will ihm nicht einleuchten.
Jannakis versteht auch nicht, warum er in Zukunft auch am Geburtstag des
Propheten Mohammed seinen Friseurladen schließen soll, wie es der UN-Plan
bestimmt. "Vielleicht muss
ich mich bald auch gen Mekka verneigen", fragt er mit gespielter
Empörung. Der Andenkenhändler
Savvas winkt ab: "Nimm das nicht so ernst, alles wird sich finden." Aber wird es das?
"Die Menschen sind verunsichert", gesteht ein Minister der
griechisch-zyprischen Regierung. "Seit
fast drei Jahrzehnten warten sie auf eine Zypernlösung, jetzt steht sie
plötzlich vor uns, und die Menschen fragen, ob und wie sie ihr Leben
verändern wird." Im griechischen Inselsüden sicher wenig.
Im türkisch kontrollierten Norden schon eher, und zwar zum Besseren.
Hier beträgt das Pro-Kopf-Einkommen weniger als ein Drittel dessen, was
im Süden erwirtschaftet wird. Deshalb
drängt jetzt auch der türkisch-zyprische Unternehmerverband auf Annahme des
Annan-Plans. Und
Oppositionsgruppen haben diese Woche schon für die Wiedervereinigung
demonstriert.
Stuttgarter Zeitung,
Donnerstag, 5. Dezember 2002
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