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Die Zypernfrage EU als Motor
Von
Gerd Höhler
Hätte
Rauf Denktasch Recht behalten, müsste es auf Zypern seit Monaten Mord und
Totschlag geben. Griechen und Türken könnten auf der Insel niemals friedlich
zusammenleben, dozierte der türkische Volksgruppenchef seit Jahren, deshalb
müsse es bei der Teilung der Insel bleiben.
Doch dann war es ausgerechnet Denktasch, der im vergangenen Frühjahr
die Schlagbäume an der Demarkationslinie öffnete.
Seither haben hunderttausende von griechischen und türkischen Zyprern
den jeweils anderen Teil der Insel besucht.
Zu Feindseligkeiten kam es nicht. Die
von den türkischen Nationalisten jahrzehntelang kultivierte These, wonach nur
die Trennung der beiden Volksgruppen den Frieden auf Zypern garantiere, ist
widerlegt. Nun
sollen die Führer der beiden Volksgruppen, der Inseltürke Denktasch und der
Zyperngrieche Tassos Papadopoulos, den nächsten Schritt tun.
Vom Donnerstag an werden sie in der geteilten Inselhauptstadt Nikosia
über eine Lösung der Zypernfrage verhandeln.
Grundlage der Gespräche ist der Einigungsplan des UN-Generalsekretärs
Kofi Annan. Anders als bei
früheren Verhandlungsrunden gibt es einen verbindlichen Fahrplan: Bis Ende
März sollen die Gespräche abgeschlossen sein, damit drei Wochen später die
beiden Volksgruppen in getrennten Abstimmungen über Annahme oder Ablehnung des
Einigungsplans entscheiden können. Geht
alles gut, würde Zypern am 1. Mai doch noch als Ganzes der Europäischen Union
beitreten. Doch
so weit ist es noch nicht. Zwar
war eine Zypernlösung in den vergangenen 30 Jahren noch nie so nah wie jetzt. Aber in die Hoffnung mischt sich Skepsis.
Denn viele Punkte des Annan-Plans sind noch strittig.
Selbst wenn Denktasch und Papadopoulos eine Einigung gelingt oder Annan
die Streitfragen schlichtet, müssten die Wähler der beiden Volksgruppen den
Einigungsplan noch absegnen. Die
Zustimmung der Zyperntürken gilt zwar als gesichert.
Aber im griechischen Süden der Insel gibt es erhebliche Widerstände
gegen Annans Plan. Denn der sieht
ja keine Wiedervereinigung im echten Sinne vor.
Bestenfalls die Hälfte der 1974 aus dem Norden vertriebenen
Zyperngriechen wird in ihre Heimatorte zurückkehren können.
Viele Inselgriechen meinen, der Verfassungsentwurf des
UN-Generalsekretärs legalisiere letztlich die Teilung der Insel in zwei
autonome Staaten. Dass an der
Spitze der weit gehend kompetenzlosen gemeinsamen Zentralregierung im
zehnmonatigen Wechsel auch ein türkischer Zyprer stehen soll, geht vielen
Griechen gleichfalls gegen den Strich. Annans
Plan soll den beiden Volksgrup pen Gleichberechtigung sichern.
Aber niemand weiß, wie sich diese komplizierte Verfassungskonstruktion
in der Praxis bewährt. Das fragt man sich nicht nur in Brüssel. Denn dort
müssen griechische und türkische Zyprer nach dem Beitritt mit einer Stimme
sprechen. Die Forderung der
Griechen, die EU an den jetzt beginnenden Verhandlungen beratend zu beteiligen,
ist daher sinnvoll. Rauf
Denktasch hat sich lange gegen diese Verhandlungen gesträubt.
Er bezeichnete noch vor kurzem den Annan-Plan als "tot und
begraben". Wie ernst es ihm
jetzt mit dem Willen zur Einigung ist, müssen die nächsten Wochen zeigen. Dass er nun doch an den Verhandlungstisch zurückkehrte, ist
wohl weniger Ergebnis eines Sinneswandels, sondern einzig dem Druck aus Ankara
zu verdanken. Der türkische
Regierungschef Tayyip Erdogan weiß: Nur wenn die Zypernfrage gelöst wird, hat
sein Land realistische Aussichten auf Beitrittsverhandlungen mit der EU.
UN-Generalsekretär Kofi Annan darf es sich zurechnen, die
Zypernverhandlungen wieder in Gang gebracht zu haben.
Aber der eigentliche Katalysator war die EU: Ohne ihre Anziehungskraft,
ohne den Beitritt Zyperns zur Europäischen Union und den Beitrittswunsch der
Türkei hätte sich auf der Insel wohl kaum etwas bewegt.
Stuttgarter
Zeitung, Montag, der 16. Februar 2004, Seite 3
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