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Bürotürme
und Autos da, Altbauten und Eselskarren dort Der griechische und der türkische Teil Zyperns
haben sich komplett unterschiedlich entwickelt – Vereinigung würde viel Geld
kosten
Zypern
will bald Mitglied der Währungsunion werden.
Wirtschaftlich ist die Insel der stärkste EU-Neuling.
Doch zwischen dem weltoffenen griechischen und dem abgeschotteten
türkischen Teil besteht noch ein himmelweiter Unterschied.
Von
Gerd Höhler, Nikosia
Nur etwa 300
Schritte sind es vom türkischen Kontrollpunkt am ehemaligen Hotel Ledra Palace
hinüber zum Schlagbaum auf der griechischen Seite. Aber wer diesen Weg durch das Niemandsland zurücklegt, kommt
in eine andere Welt. Nicht nur
politisch ist Zypern geteilt, sondern auch wirtschaftlich. Während im
Nordsektor der gespaltenen Inselhauptstadt Nikosia enge Gassen, Altbauten aus
der britischen Kolonialzeit und gelegentlich sogar noch Eselskarren das Bild
bestimmen, prägen Bürotürme und Baukräne die Skyline im Süden.
Teure Geländewagen parken vor den Straßencafés.
"Hier verdiene ich an zwei Tagen mehr als bei uns in einer ganzen
Woche", sagt Ahmet. Er ist er
einer von mehreren tausend Zyperntürken, die jeden Morgen den Checkpoint am
Ledra Palace passieren und im Süden arbeiten. Ahmet verdingt sich als
Tagelöhner auf dem Bau. Im
griechischen Teil Zyperns leben 660 000 Menschen, im türkischen sind es 200
000. Die
drittgrößte Mittelmeerinsel ist geteilt, seit die Türkei im Sommer 1974 den
Nordteil besetzte, um eine drohende Annexion der Insel durch Griechenland zu
verhindern und die 18 Prozent der Bevölkerung ausmachende türkische
Minderheit zu schützen. Damals
kamen mit 37 Prozent des Inselterritoriums auch fast 70 Prozent der
wirtschaftlichen Ressourcen Zyperns unter türkische Kontrolle.
Dennoch geriet der Inselnorden schon bald wirtschaftlich weit ins
Hintertreffen. "Unser
statistisches Pro-Kopf-Einkommen liegt nur etwa bei einem Viertel dessen, was
im griechischen Süden erwirtschaftet wird", klagt Ali Erel, der
Präsident der türkisch-zyprischen Industrie- und Handelskammer. Er führt die chronische Misere vor alle auf den
Wirtschaftsboykott zurück, den die
Inselgriechen nach der türkischen Invasion gegen den Norden verhängt haben. Aber
auch im Außenhandel mit Drittstaaten ist Nordzypern mit unüberwindlichen
Hürden konfrontiert. "Wir
können zwar importieren, aber so gut wie nichts exportieren", erklärt
IHK-Chef Erel. Weil die 1983
einseitig ausgerufene Türkische Republik Nordzypern (KKTC) international nicht
anerkannt wird, akzeptiert beispielsweise die EU ihre Ausfuhrdokumente nicht.
Exportieren können die Zyperntürken deshalb praktisch nur in die
Türkei. Ausländische Urlauber,
die in Nordzypern Ferien machen wollen, müssen ebenfalls den Umweg über
Istanbul oder Ankara nehmen. Weil es keine Direktflüge in den türkischen Teil gibt, kam
der Tourismus nie richtig in Schwung. Das
Bruttoinlandsprodukt liegt hier gerade einmal bei 690 Millionen Euro. Im
griechischen Süden dagegen ist der Fremdenverkehr:die Hauptstütze der
Wirtschaft. Er steuert etwa ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa elf Milliarden
Euro bei und sorgt für 15 Prozent aller Arbeitsplätze.
Im vergangenen Jahr blieben in den zyprischen Hotels allerdings viele
Betten leer. Der Irak-Krieg verschreckte so manchen Urlauber. Von
den zehn Ländern, die am 1. Mai der EU beitreten, ist Zypern nach Malta das
kleinste, wirtschaftlich aber relativ das stärkste.
Das statistische Pro-Kopf-Einkommen liegt immerhin bei 75 Prozent des
EU-Durchschnitts und ist damit höher als im bereits 1981 beigetretenen
Griechenland. Die anderen
EU-Neulinge kommen im Schnitt nur auf 42 Prozent.
Mit einer Arbeitslosenquote von durchschnittlich drei Prozent herrscht
im griechischen Teil Zyperns seit Jahren praktisch Vollbeschäftigung. Sorgenfrei
ist man allerdings auch hier nicht. Kopfschmerzen
bereitet dem scheidenden Finanzminister Markos Kyprianou, der in Kürze als
erster zyprischer EU-Kommissar nach Brüssei wechseln wird, der Zustand der
Staatsfinanzen. 2003 schnellte das Haushaltsdefizit auf sechs Prozent des BIP
und erreichte damit das Doppelte der im Stabilitätspakt festgeschriebenen
Obergrenze. Auch 2004 wird der
Fehlbetrag mit voraussichtlich 3,7 Prozent über den Vorgaben der Eurozone
liegen. Die Löcher im Etat sind
vor allem das Resultat massiver Steuersenkungen, die 2002 von der damaligen
Regierung beschlossen wurden. Der
Rückgang im Tourismus ließ das Steueraufkommen zusätzlich schrumpfen.
Strikte Ausgabendisziplin soll jetzt helfen, die Staatsfinanzen wieder
ins Lot zu bringen. Bis 2007, so
hofft Finanzminister Kyprianou, wird Zypern die Voraussetzungen für einen
Beitritt zur Währungsunion erfüllen. Ob
es dazu kommt, dürfte allerdings auch vom Ergebnis der laufenden Verhandlungen
über eine Lösung der Zypernfrage abhängen.
Grundlage der Gespräche ist der Einigungsplan des UN-Generalsekretärs Kofi Annan.
Er sieht die Bildung zweier weitgehend autonomer Teilstaaten unter dem
Dach einer gemeinsamen, aber nur mit sehr geringen Kompetenzen ausgestatteten
Zentralregierung vor. Vor allem
die Bevölkerung im lnselnorden hofft auf eine Einigung noch vor dem 1. Mai,
damit sich auch für sie die Tür zur EU öffnet.
Für die Zyperntürken wäre der Beitritt ein Ausweg aus politischer
Isolation und wirtschaftlicher Dauerkrise.
Ein anderes Bild bietet sich im Süden.
Die meisten griechischen Zyprer stehen dem Vorschlag des
UN-Generalsekretärs skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Zwar sollen nach Annans Plan die türkischen Zyprer fast ein Drittel des
jetzt von ihnen kontrollierten Territoriums an den künftigen griechischen
Teilstaat abtreten; dadurch könnte etwa die Hälfte der 180 000 Griechen, die
1974 aus dem Norden vertrieben wurden, in ihre Heimatorte zurückkehren.
Aber nicht zuletzt die immensen Kosten einer Vereinigung bereiten vielen
Zyperngriechen Kopfschmerzen. "Der
Annan-Plan sichert beiden Volksgruppen die politische Gleichberechtigung, aber
er widmet den wirtschaftlichen Aspekten zu wenig Aufmerksamkeit", meint
der prominente griechisch-zyprische Unternehmer Konstantinos Lordos. Die
Kosten der Vereinigung werden auf 30 Milliarden Euro geschätzt.
Die von der EU als Soforthilfe in Aussicht gestellten 200 Millionen Euro
wirken da wie ein Klacks. Wie viel
eine von den UN in Aussicht gestellte Geberkonferenz erbringen würde, ist
ungewiss. Den Großteil der Kosten
müssten die griechischen Zyprer selbst aufbringen.
Dass Zypern die finanzielle Last schultern und die Vorgaben für eine
Teilnahme am Euro erfüllen könnte, gilt als unwahrscheinlich.
So könnten die Zyprer schon bald vor der Alternative stehen:
Vereinigung oder Euro.
Stuttgarter
Zeitung, Mittwoch, 17. März 2004, S. 12 |